Obwohl Google, Apple und Facebook überpräsent sind in den Medien, gibt es relativ selten, eigentlich: nie, Berichte aus dem Inneren der Konzerne. Wie ist es eigentlich, dort zu arbeiten? Was haben die Firmen wirklich vor? Was denken die Mitarbeiter über ihre Arbeitgeber? Der Grund dafür, dass wir nichts erfahren, ist eine Art Branchen-Omertà: Journalisten werden nicht reingelassen, und wenn doch, dann nur, um porentief reine Biografien der Branchengrössen zu publizieren. Und die Angestellten? Die fürchten sich vor millionenschweren Klagen, die ihnen drohen, sollten sie Details aus dem Innenleben von Silicon Valley ausplaudern. Umso erstaunlicher ist die Geschichte von Antonio García Martínez. Der heute 40-Jährige arbeitete von 2011 bis 2013 als mittleres Kader bei Facebook und hatte häufig mit Zuckerberg zu tun. Nach seiner Kündigung hat er, als Erster, seine Erfahrungen komplett unverblümt in einem Buch aufgeschrieben. «Chaos Monkey» erschien diesen Sommer auf Englisch.
Das Magazin — Wenn Sie an Ihr Vorstellungsgespräch bei Facebook zurückdenken: Was fiel Ihnen damals als Erstes auf?
Antonio García Martínez — Auf den automatischen Schiebetüren am Eingang stand das Wort «Hack». Das ist das oberste Gebot bei Facebook. Das neue Headoffice liegt an der Adresse «1 Hacker Way». Auf Google Earth erkennt man, dass das Wort «Hack» in riesigen Buchstaben in den zentralen Hof des Campus eingelassen ist.
Was ist mit «Hack» gemeint?
Es kommt natürlich von «hacken». Im Silicon Valley meint «Hack» aber etwas Positives. Es steht dafür, sich ein System zu erschliessen und es nach den eigenen Vorstellungen zu ändern.
Wie ging Ihr erster Tag dann weiter?
Ich musste am Empfang eine Vereinbarung unterzeichnen, dass ich niemandem jemals erzählen würde, was ich hier drinnen gesehen habe.
Und schon waren Sie Teil von Facebook?
Nein, so was muss jeder Besucher unterzeichnen, der eine Einladung bekommt. Diese sogenannten NDAs – Verträge, die einen unter Klageandrohung verpflichten, alles zu vergessen, was man hier sieht – sind in der Branche üblich. Es ist schon lustig, die Tech-Unternehmen leben davon, einen abzuhören, ihre eigene Privatsphäre verteidigen sie aber mit allen Waffen.
Sie mussten später bei Facebook noch härtere Stillschweigeklauseln unterzeichnen. Jetzt packen Sie in Ihrem Buch aus, nennen Namen, Summen, Interna. Fürchten Sie keine Klagen?
Das kann jederzeit passieren.
Zurück zu Ihrem Vorstellungsgespräch.
Erst mal gab es einen Tag lang Prüfungen, ein Meeting nach dem anderen. Persönlichkeitsscreening, Logiktests, sie überprüften meine Vereinbarkeit mit der Facebook-Kultur.
Das klingt ähnlich wie bei vielen Unternehmen. Irgendwas Spezielles?
Zwischendurch ging ich mal auf die Toilette. Da hörte ich ein komisches Klackern. Ich kannte das Geräusch. Da war jemand am Coden. Als ich mir die Hände wusch, sah ich im Mülleimer eine ganze Menge gebrauchter Einweg-Zahnbürsten. Die wurden vom Unternehmen gestellt und offensichtlich auch genutzt.
Wie fanden Sie das?
Ich sah, dass hier ernsthaft gearbeitet wurde. Das war nicht wie die Twitter-Hipster in Downtown San Francisco, bei denen Kombucha aus dem Wasserhahn kam.
Dann wurden Sie eingestellt.
Ja. «On-Boarding» nennt man den Einführungstag. Im Publikum sind die Neulinge, die «Kids», auf der Bühne gibt es mitreissende Reden über die neue Kultur und Philosophie, von der wir jetzt Teil sind. Dann folgt eine sechswöchige Schulung. Ein «Bootcamp», wie beim Militär. Man wird in die Philosophie eingewiesen und muss den Code des Netzwerks bedienen lernen.
Was heisst das?
Die Architektur von Facebook ist ein Code – der verblüffend einfach ist. Ich hab ihn runtergeladen und dann den Like-Button auf meinem Account umbenannt in Fuck. Fortan habe ich nichts mehr ge-liked, sondern nur noch alles ge–fucked.
Wie sieht es drinnen bei Facebook aus?
Je näher man an Zuckerberg sitzt, desto wichtiger ist man. Es gibt ein zentrales Besprechungszimmer, ganz aus Glas, alle nennen es «das Aquarium». Dort hält «Zuck» Hof. Es ging das Gerücht um, es sei schusssischer. Das alte Facebook-Office, in dem ich mich vorstellte, war noch nicht das Raumschiff von heute. Es war ein ziemlich ordinäres Bürogebäude, schmutzige Büroteppiche, in denen Skateboards und Nerf-Spielzeugpistolen rumlagen. Überall hingen Poster in so einer Revolutionsästhetik.
Wozu?
Es gab eine eigene Posterpresse bei Facebook für interne Propaganda. Die wichtigsten Lehrsätze lauten: Make an impact! Go fast and break things! Done is better than perfect. Get in over your Head. (Bewirke was! Sei schnell und zerbrich Sachen! Besser getan als perfekt! Überfordere dich!)
Gibt es eine Kleiderordnung bei Facebook?
Am Einführungstag hat jeder ein blaues T-Shirt bekommen. Die Hälfte aller männlichen Mitarbeiter trug das. Viele hatten Familienfotos rumstehen, auf denen Frau und Kinder ebenfalls die Shirts trugen. Den Frauen wurde schon am Einführungstag «abgeraten», zu knapp angezogen zu sein.
Wie kamen Sie überhaupt zu Ihrem Job bei Facebook?
Ich hatte ein ziemlich heisses Start-up für Internetwerbung aufgebaut. Wir hatten ein paar der bekanntesten Investoren an Bord. Nach zehn Monaten begann Twitter sich für uns zu interessieren. Um deren Angebot zu erhöhen, versuchte ich sie gegen Facebook auszuspielen. Die wollten dann mich. Mein Unternehmen und meine alten Partner hab ich an Twitter verkauft.
Was war Ihr Einstiegsgehalt bei Facebook?
Nicht so viel. 550 000 Dollar nach Steuern.
Antonio García Martínez, Ex-Mitarbeiter von Facebook.
Klingt doch nicht schlecht!
Nein, das ist im Silicon Valley grade mal Mittelschicht. Ich bekam im Jahr 175 000 Dollar Grundlohn. Dazu gab es einmalig ein Paket von 75 000 Unternehmensanteilen, die später 38 Dollar pro Stück wert waren. Hin und wieder gab es Boni. Wichtig sind im Valley allein die Unternehmensanteile, Cash zählt nicht.
Was war Ihre Aufgabe bei Facebook?
Die Monetarisierung. Ich sollte persönliche Daten in Geld verwandeln. Der Plan: Man versteigert Suchwörter meistbietend an Werbepartner*. Es war das Jahr 2011, und Facebook musste endlich Geld verdienen.
Das war Zuckerberg sicher ziemlich wichtig!
Zuckerberg interessierte sich überhaupt nicht für Geld. Das hat er komplett an seine Vize Sheryl Sandberg übergeben.
Wo standen Sie in der Hierarchie?
Ich war mittlere Ebene, ein Produktmanager, einer von Dutzenden damals. Nach innen hin war ich nicht das höchste Tier. Wenn ich aber als Facebooker Firmen ausserhalb sprechen wollte, kam im Handumdrehen deren Chef angelaufen. Die wussten, der ist nur zwei Sprünge von Zuckerberg entfernt.
Kurz nach Ihrem Antritt blies Google zum Grossangriff. Man wollte das soziale Netzwerk Google+ einführen.
Das war der totale Wahnsinn. Alle bei Facebook waren völlig überrascht. Über dem Aquarium blinkte plötzlich ein Schild aus Leuchtbuchstaben auf: «Lockdown». Zuckerberg beorderte uns per Mail um 13:45 Uhr zum Aquarium, es war, als ob eine Regierung den Ausnahmezustand verhängt. Zuckerberg ist eigentlich ein schlechter Redner, aber jetzt begann er frei zu sprechen.
Was sagte er?
Dass es um alles oder nichts gehe. Die oder wir. Dass es jetzt doch um Qualität gehe. Es begann wie eine Lektion und endete als Schlachtrede. Langsam wurde aus unserer Verunsicherung eine Kampfstimmung. Am Ende zitierte er Cato. Zuckerberg ist ja so ein Harvard-Bubi, er kennt die Klassiker. Er sagte: Carthago delenda est – Google muss zerstört werden. Google war für Facebook die alte Welt.
Was passierte dann?
Die Leute jubelten. Die Posterpresse wurde angeworfen. Carthago delenda est. Wir wurden angehalten durchzuarbeiten. Sieben Tage die Woche. Unsere Familien bekamen Besuchszeiten am Wochenende. Rund um die Uhr versuchten wir, unser Produkt zu verbessern, Detailarbeit an allen Ecken und Enden.
Wenn Facebook sagt, es kämpfe für eine offenere und vernetzte Welt, glauben Sie das eigentlich?
Ich glaube, dass sie das ernst meinen. Schauen Sie, Facebook hat eine Luftfahrtfirma gekauft, damit es via Drohnen Facebook in alle Ecken der Welt bringen kann. Bald werden Leute Facebook haben, die nicht mal ein Klo haben.
Wollen wirklich alle Menschen einen Facebook-Account?
So oft, wie die Leute das täglich nutzen, denke ich, Facebook ist legales Crack.
Darf man bei Facebook intern Facebook benutzen?
Die ganze Zeit. Das gilt als Arbeit. Alles ist Facebook dort. Für alles gibt es Gruppen. Ausserdem gibt es ein internes Netzwerk zur Zusammenarbeit, nur für Mitarbeiter.
Sie haben auch den Börsengang miterlebt, dabei wurden viele Mitarbeiter auf einen Schlag zu Millionären.
Da hat Zuckerberg wieder eine Rede gehalten, diesmal im Hof. 2012 war das. Noch während er sprach, waren einige hochrangige Mitarbeiter via Handy auf Immobiliensuche in San Francisco. Was mich am meisten überraschte, war, dass am nächsten Morgen um acht wieder alle wie wild weiterarbeiteten.
Dabei hätten sie eigentlich sofort aufhören können zu arbeiten.
Genau, aber ich bekam das Gefühl, denen geht es nicht ums Geld, sondern um eine Mission. Schauen Sie, bei Facebook feiert man nicht seinen Geburtstag, sondern seinen «Faceversary», den «Anniversary» (Jahrestag) des ersten Tages bei Facebook. Da gibts Blumen und Geschenke, die Leute gratulieren. Dann werden ständig «Hack-athons» abgehalten. Auch an Orten, wo es gar keine Programmierer gibt. Man pflegt die Rituale. Jeden Freitag gibt es ein Q & A, alle dürfen dann die grossen Führer befragen. Oft auch Zuck. Danach gibts Drinks für alle. Aber wer kündigt, wird gelöscht. Man verschwindet aus allen internen Gruppen und Netzwerken.
Wie ist Zuckerberg als Mensch?
Er ist ein natürliches Alphatier, der Gründer einer neuen Kirche und überhaupt nicht so ein Nerd wie in «Social Network». Er spricht kurz und abgehackt, schnörkellos, sehr direkt. Er spricht so, wie man Codes schreibt. Auch schaut er einem nie in die Augen, weshalb er auf Pressefotos immer etwas seltsam aussieht. Jedes Jahr setzt er sich selber eine grosse Aufgabe, die messbar sein muss. Als ich anfing, war es: zehntausend Schritte am Tag gehen – das war, lange bevor jeder so ein Fitbit-Band trug. Letztes Jahr las er ein Buch pro Woche. Jetzt läuft er eine Meile am Tag.
So hat das schon Benjamin Franklin gemacht. Jede Woche eine Aufgabe zur Charakterbildung.
Zuckerberg ist okay. Er führt offensichtlich eine gute Ehe, ist seit über zehn Jahren mit derselben Frau zusammen. Was mich störte, waren seine Freunde. Wir nannten sie FoZ – Friends of Zuck. Sie waren wie der Adel. Furchtbar arrogant.
Was hat Zuckerberg eigentlich vor?
Dieses Unternehmen wird noch lange existieren. Die haben eine grosse Vision. Ich glaube, dass die EU zum Beispiel langfristig gegen Facebook kapitulieren muss.
Worum geht es Facebook eigentlich?
Ich habe viel drüber nachgedacht, was Facebook eigentlich ist. Dem ganzen Silicon Valley geht es eigentlich darum, etwas Vorhandenes durch etwas Eigenes zu ersetzen. Ein System zu hacken. Uber sagt: Wir brauchen keine Taxis mehr. Airbnb sagt: Wir brauchen keine Hotels mehr. Einen Teil meines Buches hab ich in Barcelona geschrieben. Ganze Teile Barcelonas sind nur noch Airbnb-Territorium. Die Silicon-Valley-Firmen ziehen irgendeiner Branche, die sie für reif halten, einfach mal den Stecker und schauen dann, was passiert.
Was halten Sie davon?
Ich weiss nicht, ob die Gesellschaft stabil genug ist, um das zu ertragen.
Und im Fall von Facebook?
Ich glaube, bei Facebook geht es darum, wie wir leben. Es ist ein Ersatz für Gemeinschaften. Für Stämme.
Wie meinen Sie das?
Es gibt diese eine Zahl, sie heisst Dunbar-Zahl. Die besagt, dass Menschen, egal in welcher Epoche und an welchem Ort, eigentlich immer nur mit etwa 150 Leuten echte Beziehungen pflegten. Das war Ihre Dorfgemeinschaft. Ihr Metzger, Ihr Freund, Ihr Berater. In unserer Zeit, wo man nicht mehr dort lebt, wo man geboren wurde, gibt es dieses kleine Ding in unserer Hosentasche, die Facebook App, die einen genau mit diesen Leuten verknüpft, ganz unabhängig davon, wo man ist.
Noch mal: Wenn Airbnb bedeutet, keine Hotels mehr, was bedeutet dann Facebook?
Eigentlich ist Facebook ein Hack des Staates. Der Gemeinschaft an sich.
In Europa und auch im US-Wahlkampf wird gerade diskutiert, ob Facebook die politische Entwicklung beeinflusst.
Natürlich, man sieht das, wenn man in eine Bar geht. Das ist ja ein Ort, an dem man mit Freunden und Fremden ins Gespräch kommt, auch über politische Themen. Wenn Sie aber heute in eine Bar gehen, sehen Sie nur Leute, die auf Facebook-Screens starren. Diese Menschen sind verbunden mit einer anderen Gemeinschaft.
Sie meinen also, dass Facebook die Politik nicht nur dadurch beeinflusst, dass es bestimmte Themen nach oben in die Timeline bringt und andere Themen gar nicht, sondern Sie glauben, dass die Struktur unser politisches Verhalten verändern kann. Ist Zuckerberg denn eher Demokrat oder Republikaner?
Das weiss ich nicht. Facebook geht es nicht darum, dich dazu bewegen, Demokraten oder Republikaner zu wählen.
Welche Änderung an Facebook würden Sie Zuckerberg vorschlagen, damit er einfach neutral wäre, also keinen Einfluss mehr auf die Demokratie nimmt?
Schwierig. Zuckerberg hat natürlich eine Menge Möglichkeiten, auf den Wahlkampf Einfluss zu nehmen. Die Facebook-Timeline funktioniert so, dass du die Sachen siehst, die dir statistisch gefallen – und damit bestätigen sie dich in deiner Meinung, anstatt sie herauszufordern. Es ist vermutlich so, dass diese Echokammer ein starker Grund ist für die politische Polarisierung in Europa und in den USA.
Könnte man die Echokammer umbauen?
Ja, sicher. Man könnte beispielsweise die Meinung deines am wenigsten geliebten Freundes anzeigen. Aber ich glaube, die Menschen würden das als Manipulation empfinden. Ich sehe wenig, was Facebook ändern könnte am eigenen Einfluss.
Sie wurden 2013, nach zwei Jahren, bei Facebook gefeuert. Was war der Grund?
Sie hatten sich gegen meine und für eine konkurrierende Produktstrategie entschieden. Dann musste ich halt gehen. Ganz normal im Valley.
Was macht man nach Facebook? Wo bewirbt man sich?
Ich bin erst mal mit meinen drei Kindern aufs Land gezogen und habe das Buch geschrieben. Jetzt muss ich schauen, wie es weitergeht. Ich habe keine gute neue Geschäftsidee.
Sie wissen viel mehr über die fortschreitende Digitalisierung als die meisten anderen Menschen. Welche Schlüsse haben Sie gezogen?
Was die Zukunft meiner Kinder angeht: Ich werde sie nicht auf Facebook lassen. Ich werde versuchen, sie von der Technologie abzuschirmen. Ich werde sie davor schützen, soweit ich es kann. Sie sollen in der Realität einer kleinen Gemeinschaft aufwachsen, nicht in einer Simulation davon.
* Die Haupteinnahmequelle von Firmen wie Facebook und Google ist Werbung. Sie bieten Unternehmen die Möglichkeit, Werbung zu schalten, die exakt auf einzelne Nutzer passt. Das funktioniert so: Die Unternehmer ersteigern bestimmte Suchbegriffe oder Worte, die Nutzer oft eingeben oder posten. Eine Rechtsanwältin in Zürich kann beispielsweise einen Franken bieten, damit ihr Werbefenster bei jedem auftaucht, der dort das Wort Scheidung sucht oder auf Facebook postet. Das Höchstgebot gewinnt.
Antonio García Martínez: «Chaos Monkeys: Obscene Fortune and Random Failure in Silicon Valley», HarperCollins