Er ist der Antichrist. Der gefährlichste Mensch der Welt. Ein alter reicher Mann, ein Spekulant, der den Zusammenbruch des britischen Pfunds 1992 verursachte, die Asienkrise 1997, die Finanzkrise 2008. Er zerstörte zuerst die Sowjetunion und dann Jugoslawien, um freie Bahn zu schaffen für Afrikaner und Araber, damit diese die Europäer vertreiben. Er sponsert Linksextreme, will den Präsidenten der USA stürzen und lebt von Drogenhandel und Finanzverbrechen. Nebenbei finanziert er Euthanasie, Zensur und Terrorismus. Schon als Kind lieferte er Juden an die Nazis aus, obwohl er selber Jude ist.
Man erfährt das bei Facebook, Youtube oder Twitter, wenn man «Soros» eingibt. George Soros ist Jude, das stimmt, alles andere ist falsch, erfunden und in die Welt gesetzt im Zuge einer der perfidesten und wirkungsmächtigsten Politkampagnen aller Zeiten.
Noch vor wenigen Jahren war George Soros ein Milliardär, dessen tiefgründige Kritik am Kapitalismus selbst am Weltwirtschaftsforum in Davos geschätzt wurde. Ein Währungshändler, der einst zu den dreissig reichsten Menschen der Welt gehörte, dann aber den grössten Teil seines Milliardenvermögens seiner Stiftung vermachte. Seine Open Society Foundations sind die drittgrösste gemeinnützige Stiftung der Welt, direkt hinter der Gates Foundation. Während Bill Gates versucht, den Schmerz der Welt zu lindern, etwa Malaria auszurotten, will Soros die Welt verbessern, etwa durch Bildungsprojekte oder Startkapital für Migranten. Er möchte das Ideal verwirklichen, das der von ihm verehrte Philosoph Karl Popper einst als Gegenstück zum Totalitarismus formulierte: die offene Gesellschaft.
Ein Büro im 38. Stock eines kantigen Glasturms in New York. Dort sitzt Michael Vachon, der persönliche Berater von Soros, und zerbricht sich den Kopf: Wie kam es dazu, dass sein Vorgesetzter von einem weltweit geachteten Philanthropen zu einem der meistgehassten Menschen der Welt wurde? 2017 hat Vachon mit der sogenannten Sentimentanalyse begonnen, um zu messen, wie gross das Problem wirklich ist. Eine orange Kurve auf seinem Rechner zeigt das Ausmass. Sie bildet die Reaktionen im Netz auf den Namen Soros ab: Zehntausende Nennungen pro Woche, in manchen Wochen sind fast hundert Prozent davon negativ. Der Graph ist eine Fieberkurve des Hasses.
Zwei Leute kennen die Antwort auf Vachons Frage. Einer ist tot, der andere steht an einem sonnigen Junimorgen 2018 am ausufernden Buffet des Westin Grand Hotels in Berlin. Ein Mann mit der Figur eines Marathonläufers, schlank und hochgewachsen, Schädel und Gesicht sind makellos glatt rasiert, eine Hornbrille rahmt seine stechend blauen Augen. George Eli Birnbaum kam 1970 in Los Angeles zur Welt, benannt, sagt Birnbaum, wurde er nach seinem Grossvater. Den hatten die Nazis erschossen, vor den Augen seines Sohnes, der dem Holocaust mit knapper Not entkam und in die Staaten floh.
Doch bis nach Atlanta, wo der junge George aufwuchs, verfolgte die Familie der Antisemitismus. Immer wieder wurde seine jüdische Privatschule mit judenfeindlichen Sprüchen besprüht. Das prägte. Jedes Wochenende gab ihm sein Vater die «Jerusalem Post». «Erst kümmerst du dich darum, wie es den Juden geht, dann sorgst du dich um den Rest der Welt», sagte er. So wuchs in George Birnbaum die Überzeugung, dass nur ein starker Staat Israel die Juden vor einem neuen Holocaust schützen könne.
Es fällt ihm schwer, darüber zu reden, und es ist das erste Mal, dass er sich einem Journalisten gegenüber dazu äussert. Aber dieser George Birnbaum hat entscheidend dazu beigetragen, dass die neuen Rechten weltweit erstarkt sind und Antisemitismus wieder zur politischen Waffe werden konnte. Indem er einen Juden an den Pranger stellte: George Soros.
Der Kandidat
Alles begann vor 23 Jahren mit dem Attentat auf Ministerpräsident Yitzhak Rabin. Am 4. November 1995 verblutete der grösste Hoffnungsträger für Frieden, den Israel je hatte. Nach dem Attentat wurden eilig Neuwahlen anberaumt. Die Kandidaten: Shimon Peres, ein Sozialdemokrat der Gründergeneration, der Rabins Friedensprozess fortsetzen wollte, und Benjamin Netanyahu, ein Unternehmensberater, ein Neuling, ein Rechter. Viele belächelten Netanyahus Ambitionen. In Umfragen hatte er über zwanzig Prozent Rückstand auf Peres.
Plötzlich aber bombardierte Netanyahus Likud-Partei das Land mit düsteren Wahlspots: «Peres wird Jerusalem teilen», lautete der Slogan. Das verunsicherte viele Wähler. Dabei war der Satz reine Behauptung, Shimon Peres hatte keine derartigen Pläne. Am Wahltag wurde das Rennen zwischen Peres und Netanyahu äusserst knapp. Gegen 22 Uhr verkünden die Fernsehstationen gemäss ersten Hochrechnungen einen hauchdünnen Sieg von Peres. Netanyahu verlangt daraufhin das Telefon und ruft «Arthur» an – seinen geheimen Kampagnenleiter. Arthur Finkelstein ist in New York, aber sofort am Hörer. Netanyahu solle sich keine Sorgen machen, sagt er. «Die knappen Wahlen gewinne ich immer.»
«Arthur Finkelstein war ein Genie», sagt Birnbaum. Finkelstein war ein Zahlenmensch, ein sogenannter pollster. Das sind Politikberater, die für ihre Kunden Taktiken und Strategien auf Basis von Umfragen – polls – entwickeln. Pollster versuchen, Meinungen, Stimmungen, Gemeinsames oder Trennendes in der Bevölkerung zu erkennen, damit ihr Kunde das für sich nutzen kann.
Manchmal entwickeln pollster Kampagnen. In Israel entwickelte Finkelstein sogar einen Kandidaten: Jener Benjamin Netanyahu, der im Mai 1996 gegen Shimon Peres antrat, war seine Schöpfung. «Alles, was Bibi während der Wahlkampagne tat, wurde von Arthur bestimmt», schreiben Netanyahus Biografen Ben Kaspit und Ilan Kfir.
Finkelstein war eine diskrete Person. Nur zwei Reden von ihm sind im Netz zu finden. Niemand bekam ihn je ganz zu fassen, nicht einmal seine Kunden. Er flog ein, gab Ratschläge und verschwand wieder. Am Wahltag war er nie anwesend. Vor Ort arbeiteten seine Leute, Arthur’s kids, wie sie sich nannten. Informationen über Finkelstein muss man sich zusammensuchen, man findet Hinweise in der israelischen und ungarischen Presse, er wird erwähnt in Akten, Lücken ergänzten Gespräche mit über einem Dutzend Insidern und nicht zuletzt mit George Birnbaum selbst.
Der Kandidat und sein Erfinder. Ohne Finkelsteins Plan, dem Gegner eine Falle zu stellen, hätte Netanyahu (rechts) seine erste Wahl nicht gewonnen. (Bild: flash90/Keystone)
Finkelstein ist der rote Faden in der neueren Geschichte der Republikaner, von Ayn Rand über Richard Nixon bis Donald Trump. Im College lernte er Rand, die Mutter der libertären Bewegung, kennen. Später half er dem legendären Barry Goldwater, der Mitte der 1960er die Republikaner von rechts neu erfand. Finkelstein überlebte den Watergate-Skandal, war an Ronald Reagans Wahlsieg 1980 beteiligt, arbeitete für George Bush senior und auch für einen Unternehmer namens Donald Trump. Diesem sagte er eine Politkarriere voraus. Trumps Kampagnenteam war dann auch geprägt von Arthur’s kids: von Larry Weitzner, Tony Fabrizio und seinem alten Freund Roger Stone. Auch Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, stand in Beziehung zu Finkelstein, ebenso David B. Cornstein, US-Botschafter in Ungarn.
Die Verbindung zwischen Finkelstein und moderner republikanischer Kommunikation kann man aber auch so auf den Punkt bringen: In seiner Zeit als zentrales Kampagnenmitglied von Ronald Reagan warb dieser mit jenem seltsam düsteren, tiefreaktionären Slogan, den heute jeder kennt: Let’s make America great again.
Treibstoff Angst
Finkelstein folgte dabei einer Formel, die er fortlaufend weiterentwickelte: negative campaigning. Bei dieser Wahlkampfmethodik geht es darum, die Kampagne des Gegners anzugreifen, statt ein eigenes Programm anzupreisen. Finkelsteins Ausgangspunkt: Jede Wahl ist schon vor der Wahl entschieden. Die meisten Leute wissen von Anfang an, wen sie wählen wollen, wofür oder wogegen sie sind. Und es ist ungeheuer schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Es ist, vereinfacht gesagt, viel leichter, Menschen zu demotivieren, als sie zu motivieren. So kann man dem Gegner entscheidende Stimmverluste beibringen. Heute nennt man das voter suppression, Wählerunterdrückung. Brad Parscale, der Leiter von Trumps Digitalkampagne, hat diese als eines der wichtigsten Instrumente der 2016er-Wahl beschrieben. Die Methode liest sich wie das How-to des modernen Rechtspopulismus.
Finkelstein, ursprünglich Programmierer in der Finanzindustrie, erhob als pollster Bevölkerungsdaten wie Alter, Wohnort, bevorzugter Kandidat, politische Haltung, Anzahl Kirchenbesuche. Sein Talent lag darin, Muster zu erkennen. Zum Beispiel: Was sind die «Mittethemen», jene, die am meisten Menschen interessieren? Welche tun am meisten weh? Im Grunde, merkte er bald, sind es oft dieselben: «Drogen, Kriminalität und Hautfarbe.» Das sei cutting, schrieb er 1972 in einem Memo an Richard Nixon. Finkelsteins Ziel war es, die Wählerschaft maximal zu polarisieren. Gegeneinander aufzuheizen. Der Treibstoff: Angst. «Es muss so getan werden, als käme die Gefahr von links», riet er Nixon. Er müsse die Themen setzen, vor denen sich die Bevölkerung fürchte.
Überhaupt sei Angriff Pflicht. Wer nicht zuerst zuschlage, werde vom anderen geschlagen. Und Finkelstein personalisierte. Jede Kampagne brauche einen Feind, der besiegt werden müsse. Das negative campaigning entwickelte er weiter zu einer Technik, die er rejectionist voting nannte. Die Idee ist, nicht über die Vorteile des eigenen Kandidaten zu sprechen, sondern alles Schlechte auf den Konkurrenten zu projizieren, um das Vertrauen von dessen Wählern zu zerstören. Dabei nahm er keinerlei Rücksicht auf Befindlichkeiten. Er erledigte seinen Job, wie ein Anwalt einen Mörder verteidigt.
Im letzten Schritt stellte Finkelstein nach dieser Methode dem Gegner die Falle: Er setzte eine Behauptung in die Welt und zählte darauf, dass der Gegner sich beim Versuch, diese zu widerlegen, verstrickte. Sobald der Gegner auf die Anschuldigung reagiert, assoziiert er sich mit ihr. Wenn er sie aber ignoriert, lässt er sie unwidersprochen. Im besten Fall ist die Behauptung selbst bereits so merkwürdig oder schockierend, dass Medien sie multiplizieren.
Finkelstein wurde berühmt dafür, den Begriff «liberal» in ein Schimpfwort verwandelt zu haben. Gegner nannte er «ultraliberal», «wahnsinnig liberal» oder «beschämend liberal». Mark Mellman, der Kampagnen-Guru der Demokraten, nennt das Finkel-Think: «jemanden als Liberalen brandmarken, beschimpfen, das endlos repetieren.» Die Methode war simpel, aber effektiv, vermutlich hat niemand mehr Politiker in den US-Kongress gebracht als Finkelstein.
Nach Europa
In Israel zieht Finkelstein das Rezept 1996 komplett durch: Aus allen Kanälen schiesst er auf Peres. Seine kurzen, knallharten Slogans sind in allen Medien. In der finalen Talkshow tappt Peres in die Falle: Er will sofort klarstellen, dass er Jerusalem nicht zu teilen plane. Netanyahu hat die Diskussion in der Hand. Als Peres am Tag nach der Wahl aufwacht, ist Netanyahu Premierminister. 50,5 zu 49,5 Prozent.
Den Israel-Job hatte Finkelstein von seinem Freund und Kunden Ron Lauder vermittelt bekommen, dem milliardenschweren Erben des Kosmetik-Imperiums und damaligen Netanyahu-Financier. Anfänglich war es ein Nebenjob. Eigentlich arbeitete Finkelstein an der Kampagne gegen die Wiederwahl Bill Clintons.
In Israel entdeckt Finkelstein, dass seine Formel auch andernorts funktioniert. Seit Netanyahus Sieg setzen alle Parteien auf Negativkampagnen, entsprechend gefragt ist Finkelstein. Er steckt hinter Sharons Überraschungserfolg 2001, später folgt mit Avigdor Lieberman ein Kunde noch weiter rechts. Die Triumphe in Israel markieren den Beginn einer neuen Phase: Finkelstein wendet sich Europa zu. Zu diesem Zweck beginnt er seine Zusammenarbeit mit George Eli Birnbaum, dem Mann mit der Figur eines Marathonläufers. Die beiden bilden ein Team, das später Finkelsteins bleibendes Vermächtnis erschaffen wird – sein Monster.
Birnbaum ist eins von Arthur’s kids. Kennen gelernt habe er den geheimen Star der Republikaner in Washington Mitte der 1990er-Jahre, erzählt Birnbaum. Damals brachte der junge Mann Finkelstein jeden Morgen stapelweise Umfragen. «Alles, was Arthur tat, basierte auf Zahlen», erinnert sich Birnbaum, «aber niemand konnte aus den Zahlen das lesen, was Arthur las.»
Nach aussen war Finkelstein das Enigma, der Stratege, der für die Rechten arbeitet. Doch Birnbaum lernte bald den privaten Arthur kennen. Ein freundlicher, gewitzter, brillanter und doch uneitler Mann, voller Anekdoten aus den innersten Zirkeln der Macht. Der Spross einer jüdischen Familie aus Queens, der über Koscherregeln witzelte. Ein Nerd, die Brusttasche seines Button-down-Hemds stets vollgestopft mit Stiften und Notizzetteln, um jede Eingebung aufzuzeichnen.
In der steifen Welt der Politik liess Arthur die Krawatte stets gelockert und lief in Socken durchs Büro. Er konnte sich alles erlauben, denn er war die rechte Hirnhälfte der Rechten. Einmal, so erzählte Finkelstein einem Mitarbeiter, habe Reagans Stabschef ihm schriftlich dafür gedankt, dass er die Schuhe im Oval Office «diesmal meist anbehalten habe». Seine Leidenschaft waren Wahlkämpfe. Sie erinnerten ihn, erzählte er in Prag Studenten, an einen Sandstrand, der auf den ersten Blick immer gleich erscheine, sich aber ständig ändere. Da kommt eine Welle oder ein Sturm, und alles ist anders. Seine Liebe aber galt seinen beiden Töchtern – und seinem Mann. Arthur Finkelstein, der radikalen republikanischen Schwulenhassern ins Amt verhalf, war homosexuell. Donald war die Liebe seines Lebens.
Kapitän und Steuermann
Als Finkelstein 1998 Birnbaum fragt, ob er in Israel für Likud arbeiten wolle, geht für diesen ein Traum in Erfüllung. Selbst wenn Netanyahus Wiederwahl anschliessend nicht gelingt, die beiden werden ein Team. Finkelstein ist der Kapitän, Birnbaum der Steuermann. Während Finkelstein zwischen New York und Israel pendelt, hält Birnbaum die Stellung in Israel, wo er bald als Büroleiter für Netanyahu waltet, dessen Auftritte organisiert, ihn vor der Presse vertritt und gelegentlich seine Kinder gehütet habe.
2006 gründet Birnbaum die Firma GEB International – mit Finkelstein als Partner. Gemeinsam wollen sie Osteuropa aufrollen. Birnbaum sucht Kunden, verkauft Finkelsteins Formel. In Rumänien helfen sie Călin Popescu-Tăriceanu an die Macht, in Bulgarien Sergei Stanischew.
Im Jahr 2008 will in Ungarn ein Mann zurück an die Macht. Er heisst Viktor Orbán und ist der ehemalige Premier. Dabei helfen wird ihm sein alter Freund «Bibi» – Benjamin Netanyahu. Die beiden verbindet eine langjährige Freundschaft, die so eng ist, dass manche sie als «Bromance» bezeichnen. Tatsächlich ist ihre grösste Gemeinsamkeit aber die Arbeit von Finkelstein und Birnbaum. Laut der Tageszeitung «Haaretz» vermittelte Netanyahu seine beiden Campaigner an Orbán. Man begann 2008, erinnert sich Birnbaum, und gewann gleich ein Referendum, mit dem sich Orbán und seine konservative Fidesz-Bewegung für die Wahlen 2010 positionierten.
Will man Finkelstein als Künstler verstehen, schuf er in Ungarn sein Meisterwerk, zusammen mit Birnbaum. Sie wurden in Ungarn zunächst für ein Jahr angeheuert, sagt Birnbaum. Offiziell für die Fidesz-nahe Századvég-Stiftung. Für die Wahl 2010 setzte man auf Finkelsteins Patentrezept, sich auf die Schwächen der Gegner einzuschiessen – und den eigenen Kandidaten aus dem Rampenlicht zu halten. Der Gegner, die regierenden Sozialdemokraten, wurde überrollt mit Attacken. Noch heute ist Birnbaum erstaunt, wie einfach das ging: «Wir hatten 2010 die Sozialdemokraten noch vor der Wahl vom Tisch gepustet.»
Neue Gegner sind schnell gefunden: Ungarn leidet damals unter der Finanzkrise und muss durch eine Geldspritze gerettet werden. Dies wiederum führt zu Spardiktaten der Kreditgeber – Weltbank, EU und Internationaler Währungsfonds. Also empfehlen die Amerikaner Orbán, «die Bürokraten» und das ausländische «Grosskapital» als Feind zu definieren. Es folgt ein massiver Rechtsruck zugunsten von Fidesz, Orbán gewinnt die Wahl mit Zweidrittelmehrheit.
Birnbaum und Finkelstein, die fortan zu Orbáns engstem Zirkel gehörten, hatten nun ein Problem. Während sich der zufriedene Wahlsieger daranmachte, die Verfassung umzuschreiben, fehlte Finkelstein und Birnbaum erneut ein Gegner. «Es gab keine Opposition mehr», sagt Birnbaum. Die ultrarechte Jobbik-Partei und die Sozialdemokraten waren abgeschlagen, der Rest nur Splittergruppen. «Wir hatten einen Amtsinhaber mit einer historischen Mehrheit, etwas, das es in Ungarn noch nie gegeben hatte.» Um das zu erhalten, habe man ein «hohes Energielevel» benötigt. «Du musst die Basis unter Strom halten. Ihr den Grund geben, wieder rauszugehen am nächsten Wahltag.» Man habe etwas Kraftvolles gebraucht, so wie heute Trumps «Build the Wall!».
Der perfekte Gegner
Finkelsteins Formel fordert, dass jede erfolgreiche Kampagne einen Gegner braucht. «Das beste Mittel, um die Truppen zusammenzutreiben», erklärt Birnbaum. «Arthur sagte immer, dass man nicht gegen die Nazis kämpfte, sondern gegen Hitler; nicht gegen al-Qaida, sondern gegen Osama Bin Laden.» Nur: Wer konnte nun in Ungarn dieser Gegner werden? Wo war der feuerspeiende Drache, den Orbán mithilfe des Volkes bekämpfen musste?
Viktor Orbán war dabei, eine alternative, dramatischere Erzählung seiner Nation zu zimmern. Eine treibende Kraft ist die mit Orbán befreundete Historikerin Mária Schmidt, die er noch während seiner ersten Regierungsperiode 2002 zur Leiterin der nationalen Gedenkstätte für die Opfer der Diktaturen gemacht hat. Eine kämpferische Frau, die zudem viel Geld geerbt hat. Sie stellt Ungarn, das mit Hitler paktiert hatte, als unschuldiges Opfer dar, umzingelt von Feinden, das standhaft und tapfer seine ureigene Identität wahrte. Für sie ist Ungarn eine Nation im ewigen Belagerungszustand. Erst die Osmanen, dann die Nazis, dann die Kommunisten. Ungarns Mission: Abwehr äusserer Einflüsse und Verteidigung des Christentums.
Vor diesem Hintergrund hat Arthur Finkelstein eine Eingebung. Es ist eine Kampagnenidee, so gross und so mephistophelisch, dass sie ihn selbst überleben wird.
Im Kern geht es um die Fortsetzung der Erzählung vom fremden «Grosskapital», das sich gegen das kleine Ungarn verschworen hat. Aber mit einer dramatischen Steigerung: Was, wenn sich plötzlich der Vorhang vor der Verschwörung des Kapitals lüftet und eine Figur hervortritt, die alles in der Hand hält. Jemand, der «das Grosskapital» nicht nur steuert, sondern verkörpert? Eine reale Person. Noch dazu eine in Ungarn geborene. Fremd und doch bekannt. Diese Person ist George Soros, sagt Finkelstein. Und Birnbaum erkannte sofort das Geniale an der Idee: «Soros war der perfekte Gegner.»
In diesem Moment wird das Monster George Soros geboren. Ein Multimilliardär, so mächtig und weltweit vernetzt, dass sich die ganze Nation hinter Orbán sammeln müsste, um ihn zu besiegen. Hier in Ungarn wird jene Hassfigur erschaffen, die bald Politiker aus aller Welt aufgreifen. Bis hinein in den deutschen Bundestag oder das Bundeshaus in Bern.
Vorderhand ist Finkelsteins Vorschlag abstrus. Eine Wahlkampagne gegen einen Nichtpolitiker. Einen Menschen, der nicht einmal in Ungarn lebt. Einen alten Mann, der im ganzen Land als Mäzen und Helfer bekannt ist. Der vor der Wende die Opposition gegen die Kommunisten unterstützt hat, danach Kindern Schulmahlzeiten spendierte, später mitten in Budapest eine der besten Universitäten Osteuropas aufgebaut hat.
Sogar Orbán hatte einst Geld von Soros erhalten: In seiner Oppositionszeit gab seine kleine Untergrundstiftung Századvég kritische Zeitschriften heraus, erstellt auf einer von Soros bezahlten Kopiermaschine. Orbán war auch einer der über 15 000 Stipendiaten der Open Society Foundations. Nur dank Soros konnte Orbán in Oxford Philosophie studieren. Ein einziges Mal sind sich die beiden begegnet: als Soros 2010 nach einer Flutkatastrophe nach Ungarn kam, um eine Million Dollar Nothilfe bereitzustellen.
Es gab wirklich keinen Grund, gegen ihn zu sein.
Ein Mittel zum Zweck
Finkelstein und Birnbaum aber sahen in George Soros etwas komplett anderes. Es gibt eine lange Geschichte der Kritik an Soros. Sie reicht zurück bis ins Jahr 1992, als Soros mit einem Währungsdeal über Nacht eine Milliarde Dollar verdiente – und sich den Ruf einhandelte, britische Bürger in die Armut getrieben zu haben. Für viele Linke war Soros eine Heuschrecke. Bis er seine plötzliche Bekanntheit nutzte, um überraschend linksliberale Ideen öffentlich zu machen. Er war für alles, wogegen die Rechte war: Klimaschutz, Umverteilung, die Clintons. Er opponierte gegen den Zweiten Irakkrieg 2003, verglich George W. Bush mit den Nazis, begann zum Grossspender der Demokraten zu werden. So machte er sich zum Feindbild der Republikaner.
Aber da war noch mehr. Finkelstein und Birnbaum hatten in genau jene Länder expandiert, in denen die Open-Society-Stiftungen besonders intensiv versuchte hatten, liberale lokale Eliten und Bürgerrechtsbewegungen aufzubauen: Ukraine, Rumänien, Tschechien, Mazedonien, Albanien. Birnbaum, der stille Rechte, lehnt Soros ab. Er findet, Soros stehe für «einen Sozialismus, der falsch ist für diese Gegenden». Finkelstein aber, sagt Birnbaum, habe das «völlig rational» gesehen: Soros als Gegner war nur ein Mittel zum Zweck.
Um herauszufinden, ob der Name George Soros in Ungarn auch wirklich bekannt genug ist, testete man ihn in Telefonumfragen zusammen mit einer Reihe weiterer Namen möglicher Gegner, wie eine Person, die an diesen Umfragen beteiligt war, erzählt. Birnbaum selbst will das Polling im Fall von Soros nicht bestätigen.
Nun musste noch Orbán überzeugt werden. Birnbaum sagt, Finkelstein habe bei Orbán «enormes Vertrauen» genossen. Orbáns Sprecher haben es abgelehnt, dies zu kommentieren. «Niemand war wichtiger für Orbáns Politik als Finkelstein», sagt auch ein ehemaliger ungarischer Fidesz-pollster. «Und nie hatte Finkelstein einen besseren Schüler.»
Für Orbán war die Anti-Soros-Kampagne aussen- wie innenpolitisch sinnvoll. Aussenpolitisch würde sie dem russischen Nachbarn gefallen. wie im arabischen Frühling oder der Ukraine und hatte begonnen, gegen Soros und dessen Förderung liberaler Kräfte vorzugehen. Ein gemeinsamer Feind verbindet. Innenpolitisch passte die Kampagne Mária Schmidt, die überzeugt war, an ihrem revisionistischen Heimatmärchen. Sie habe es in der Comedyshow «Saturday Night Live» gesehen, erzählte Schmidt kürzlich allen Ernstes. Im Jahr 2008 sei ein Soros-Darsteller aufgetreten, tituliert als «George Soros, Eigentümer der Demokratischen Partei». Und dem habe Soros nie widersprochen. Somit war der Fall für Schmidt klar.
Der erste Schuss
Dass Finkelstein und Birnbaum für Orbán arbeiteten, ist immer wieder diskutiert worden. In Ungarn ist Finkelstein beinahe eine mythische Figur. Orbán allerdings hat sich nie klar über dessen Rolle geäussert, seine Sprecher verweigern auf Nachfrage darauf eine Antwort. Birnbaum ist der erste Beteiligte, der nun mit dem «Magazin» darüber spricht. Dennoch lässt er viele Fragen unbeantwortet. So will er sich nicht an die Details der Zusammenarbeit erinnern, ob man auch Slogans oder nur Leitideen schuf, wie weit man die Kampagne selbst steuerte.
Allerdings konnte jeder sehen, was in den Jahren danach in Ungarn passierte. Und was weltweit daraus folgte. Eigentlich musste die Kampagne nur alle Argumente und Massnahmen gegen Soros aus Ost und aus West, von links und rechts, zusammenführen. Neu war einfach, dass man Soros zum Wahlkampfgegner machte.
Der erste Schuss erfolgt am 14. August 2013, knapp neun Monate vor der nächsten Wahl. Ein Artikel in der regierungsnahen Zeitung «Heti Válasz» attackiert angeblich von Soros gesteuerte NGOs. Erstmals wird das Bild einer von Soros orchestrierten Verschwörung gegen Ungarn in der Öffentlichkeit gezeichnet. Als Nächstes folgt ein Kampf des ungarischen Staatsapparats gegen die angeblich von Soros kontrollierte Umweltorganisation Ökotárs, die neben norwegischen auch Schweizer Entwicklungsgelder der DEZA erhielt. Die Polizei stürmt die Büros der angeblichen Soros-Lakaien, konfisziert Computer. Monatelange Prozesse und Untersuchungen gegen Ökotárs werden eingeleitet. Schweizer Gelder werden blockiert. Auch wenn die ungarischen Ermittler am Schluss nichts finden – das Bild der gefährlich verflochtenen NGO-Seilschaften ist konstruiert.
Orbán sagt, George Soros sei «der Stellvertreter» jenes westlichen Gedankenguts, das «den Nationalstaat schwächen» und mit Flüchtlingen fluten wolle.
In diese Zeit fallen der Syrienkrieg und der enorme Anstieg Hilfe suchender Menschen in der EU, die sogenannte Flüchtlingskrise. Während Finkelstein schon früh daraus eine Kampagne gegen Flüchtlinge entwirft, veröffentlicht Soros im Herbst 2015 einen Essay, in dem er einen «gemeinschaftlichen Plan» der EU im Umgang mit den Flüchtlingen fordert. Er sagt, die EU müsse sich «in absehbarer Zeit auf eine Million Flüchtlinge pro Jahr einstellen». Ein gefundenes Fressen für Orbán.
Nur Tage nachdem die ungarische Regierung die Schlacht gegen Ökotárs aufgeben muss, hält Viktor Orbán eine Rede. Er sagt, George Soros sei «der Stellvertreter» jenes westlichen Gedankengutes, das «den Nationalstaat schwächen» und mit Flüchtlingen fluten wolle. Erstmals taucht hier Soros’ Hilfe für Migranten als Teil einer grossen Verschwörung auf.
Ab Ende 2015 folgen die Attacken in immer kürzeren Abständen. Jede Organisation, die je Geld von den Open Society Foundations erhalten hat, wird als «von Soros gesteuert» dargestellt. Mitarbeiter der NGOs werden letzten Endes als vom Ausland finanzierte «Söldner» bezeichnet.
All das erfolgt durch ein raffiniertes Pingpong aus aufsehenerregenden «Enthüllungs»-Artikeln und offiziellen «Reaktionen» von Regierungsvertretern. Die Schmierenkampagne wird immer hemmungsloser: Ungarn kopiert Putins Schritt, einer von Soros in Petersburg mitfinanzierten Universität die Lizenz zu entziehen. Im Februar 2017 beginnen die Attacken gegen Soros’ Central European University, die vom Kanadier Michael Ignatieff geleitet wird. Der angesehene Historiker war einst in seiner Heimat als Politiker gegen die Konservative Partei angetreten – für die Finkelstein arbeitete.
Inbegriff des Bösen
Der vorläufige Höhepunkt der Kampagne gegen Soros ist im Juli 2017 erreicht, als das Land mit Postern zugepflastert wird, die sein Gesicht zeigen, darunter den Satz: «Lass nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!» Der Slogan «Stop Soros» wird ständig wiederholt, Fotomontagen zeigen Soros Arm in Arm mit angeblichen Verbündeten, die einen aufgeschnittenen Zaun passieren: Orbáns Grenzzaun gegen Flüchtlinge. Orbán behauptet, Soros unterhalte ein Mafia-Netzwerk. Im Herbst 2017 führt die Regierung eine «nationale Konsultation» durch. An Millionen Bürger werden Fragebogen versandt. Sie können ankreuzen, ob sie den «Soros-Plan», jährlich eine Million Menschen aus Afrika oder Nahost in Europa anzusiedeln, unterstützen oder nicht.
Rund 3,6 Millionen Dollar gaben die Open-Society-Stiftungen 2016 in Ungarn aus. Über das Zehnfache, gut 40 Millionen Euro, kostete die Anti-Soros-Kampagne 2017. Sie zeigte Wirkung. Soros’ Beliebtheit sank. Ein ganzes Land wandte sich gegen den Mann. Soros wurde zum Inbegriff des Bösen.
Soros selber sass in der Falle. «Je mehr er zurückgeschlagen hätte, desto mehr hätte er ja unsere Behauptung gestützt, er mische sich in die Politik ein», sagt Birnbaum. Als Kandidat gegen Orbán anzutreten, war ebenfalls undenkbar für den damals 87-Jährigen. «Mr. Soros ist kein Politiker», sagt sein Berater Michael Vachon. Soros war schachmatt.
In ihm hatte Arthur Finkelstein seinen idealen Gegner gefunden. «Mr. Liberal», wie er ihn sich immer gewünscht hatte. Die Verkörperung aller Widersprüche, die Konservative an wirtschaftlich erfolgreichen Linken so hassen: ein Finanzmarktspekulant, der gleichzeitig einen milderen Kapitalismus forderte. Und am allerbesten: Dieser Wahlkampfgegner war weder in der Politik noch überhaupt im Land. «Der perfekte Gegner ist einer, den du wieder und wieder schlägst und der nie zurück schlägt», sagt Birnbaum. Noch heute kann er dafür schwärmen. «Es lag so dermassen auf der Hand. Es war das einfachste aller Produkte. Man musste es nur noch verpacken und vermarkten.»
Das «Produkt» war so gut, es vermarktete sich von allein und wanderte um die Welt. 2017 fabulierte man in Italien von Soros-finanzierten Flüchtlingsbooten. 2018 wurde in den USA gemutmasst, Soros stehe hinter der «Karawane» von Migranten in Mexiko. In Italien beschimpfte Matteo Salvini seine Gegner als von Soros bezahlt, im EU-Parlament Nigel Farage und in Deutschland Stephan Brandner und Jörg Meuthen von der AfD.
Von Kolumbien über Israel nach Kenia und Australien tauchen Anti-Soros-Argumente auf. Ein polnischer Parlamentarier nannte Soros den «gefährlichsten Menschen der Welt». Putin erwähnte ihn missbilligend während seiner Pressekonferenz mit Trump in Helsinki. Trump wiederum packte Soros Ende 2016 in seinen finalen Werbespot. Und zuletzt behauptete er, die Demonstrationen gegen seinen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Brett Kavanaugh, seien von Soros gesponsert.
Ungarn funktioniert als Brückenkopf in einem rhetorischen Teamwork zwischen Trump und Putin. In Österreich tauchte der Name Soros im Kontext einer Wahl im Zug der «Silberstein-Affäre» auf. Später flog auf, dass man unter anderem gefälschte Facebook-Accounts eingesetzt hatte, die Soros’ «Plan» erwähnten. Mit im Kampagnenteam: Birnbaum und Finkelstein.
Die Wiederkehr des bösen Juden
Birnbaum wehrt sich gegen die Vermutung, ausserhalb Ungarns weitere Anti-Soros-Kampagnen geführt zu haben. Aber vielleicht brauchte es das auch gar nicht. Er und Finkelstein hatten in Ungarn das kraftvollste Feindbild der rechten Bewegung der jüngeren Zeit erschaffen – perfektes Material für das Internet. Einerseits griffen rechte Digitalmedien wie «Breitbart» und «Russia Today» die ungarische Kampagne auf, übersetzten sie in andere Sprachen und fütterten sie mit Argumenten. Andererseits gibt es die Social Networks, über die sich der böse Soros als Meme verselbstständigte.
Wenn rechte Bewegungen heute Wahlkampf machen wollen, dann können sie einfach Soros-Material aus dem Netz fischen. Anti-Soros ist eine globalisierte, frei verfügbare und anpassungsfähige Open-Source-Waffe. Birnbaum nennt sie «den gemeinsamen Nenner der nationalistischen Bewegung». Nicht zufällig rief Steve Bannon zum Kampf gegen Soros auf, als er in den EU-Wahlkampf einsteigen wollte.
An dieser Stelle muss man noch einmal auf einen ebenso wichtigen wie sonderbaren Aspekt dieser Geschichte zu sprechen kommen: Zwei jüdische Politberater machen einen Juden zum Ziel einer Kampagne mit antisemitischen Zügen.
Was Finkelstein und Birnbaum gebaut haben, knüpft nahtlos an eines der ältesten antisemitischen Sujets der westlichen Geschichte an: der böse, geldgierige Jude, der die Welt beherrschen will. Selbst wenn Orbáns Kampagne das Wort Jude nie benutzte: Orbán sagte, man kämpfe gegen einen «Feind», der «anders» sei, «heimatlos» – und die Welt besitzen wolle. Logisch, dass daraufhin Judensterne auf die Soros-Plakate gekritzelt wurden – die Wähler vollendeten die Kampagne. Wer heute im Internet nach Soros sucht, stösst sofort auf Montagen: Soros’ Kopf auf den Tentakeln einer Krake, ein klassisches judenfeindliches Motiv.
2017 begann in Ungarn die jüdische Gemeinde zu protestieren, auch der israelische Botschafter schaltete sich ein. Als Zoltán Radnóti, ein bekannter ungarischer Rabbiner erfuhr, dass die Kampagne von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde geleitet wurde, zeigte er sich öffentlich schockiert. Die jüdische Welt ist gespalten, ob die Kampagne antisemitisch ist. Einmal, erinnert sich Birnbaum, habe ihn in den USA ein Mitglied der Anti-Defamation League zur Seite genommen und darauf angesprochen. Die Organisation beobachtet seit Jahren einen Anstieg des Judenhasses im Netz und hat in einer Studie der Hetze gegen Soros ein eigenes Kapitel gewidmet.
Birnbaum, der den Sabbat respektiert und in zahlreichen israelischen Vereinen organisiert ist, empört diese Frage. Bei der Kampagne habe es sich um ein «rein ideologisches» Projekt gehandelt, sagt er. Soros stand für alles, wogegen Orbán war. «Als wir die Kampagne planten, dachten wir keine Sekunde daran, dass Soros Jude ist.» Er selbst habe es damals nicht einmal gewusst. Er arbeite nie mit Antisemiten. Noch vor dem Beginn der Zusammenarbeit mit Orbán habe er sich in Israel in informierten Kreisen erkundigt, wie Orbán zu den Juden stehe. Nichts Verdächtiges habe er gehört. Im Gegenteil, Orbán verfolge Antisemitismus konsequent. Seiner ersten Tochter gab er den jüdischen Namen Ráhel. Und ausserdem: «Darf ich jemanden nicht angreifen, weil er Jude ist?»
Man muss einwenden, dass die beiden Campaigner den Namen Soros damals seit Jahrzehnten kannten und Finkelstein bereits in den 1980ern in einen Skandal verwickelt war, als er antisemitische Einstellungen der Wähler eines Kandidaten untersucht und instrumentalisiert hatte. Diesmal sind die Folgen härter. Die Kampagne hat die Welt verändert. Aus Worten wurde Wirklichkeit.
In den USA erhält Soros von einem Trump-Anhänger Ende Oktober eine Briefbombe. Fünf Tage später stürmt ein Bewaffneter eine Synagoge in Pittsburgh und ermordet elf Menschen. Er sah sich im Kampf gegen eine jüdische Verschwörung. Auf seinem Social-Media-Account sprach er von der «Soros-Karawane». Mit diesen Fakten konfrontiert, klingt Birnbaum bedrückt: «Es sieht rückblickend vielleicht verrückt aus, was wir gemacht haben, aber aus damaliger Sicht war es richtig.»
Nur ein neues Opfer
Sechs Monate nach dem Treffen in Berlin lädt Birnbaum in die Lounge des Trump Hotels in Washington DC. Ein Freund hat eine Vernissage: Corey Lewandowski stellt sein Trump-Buch vor. Die Präsidenten-Beraterin Kellyanne Conway schaut vorbei, es wird Kaviar verkauft, 100 Dollar die Unze. Es läuft Tanzmusik, die Bedienungen sind fast alle dunkelhäutig, die Gäste fast alle weiss. Birnbaum plaudert mit Besuchern der geschlossenen Veranstaltung und bestellt Moscow Mule.
Hat er seine Meinung über die Soros-Kampagne geändert? «Antisemitismus ist etwas Ewiges, Unauslöschliches», antwortet er nur. «Unsere Kampagne hat keinen zum Antisemiten gemacht, der es nicht schon vorher war. Vielleicht hat sie ein neues Opfer gezeigt. Mehr nicht. Ich würde es noch mal genauso machen.»
Im Dezember musste Ignatieff den Umzug der Universität von Budapest nach Wien verkünden. Die Open Society Foundation verlegte ihren Hauptsitz nach Berlin. Orbán wiederum ist dabei, sein Medienimperium auszuweiten. Zu Hause, aber auch in anderen Ländern. Er hat grosse Pläne. Im Mai ist Europawahl. Ungarn wurde für Rechte weltweit ein Vorbild. Und Orbán habe eine neue Regierungsform, erklärt ein Fidesz-Insider. Jeder von Orbáns Schritten werde vorher «gepollt». Politiker müssten nicht mehr Visionen formulieren, sondern abbilden, was das Volk gerade bewegt. Orbán nennt es «einen illiberalen Staat».
Arthur Finkelstein starb im August 2017. Ungarn war sein finales Projekt. 2011, in einer seiner letzten öffentlichen Reden, sagte er: «Ich wollte die Welt ändern. Das habe ich getan. Ich habe sie schlechter gemacht.»