December 1, 2010

Ein Tag im Leben von Lee Scratch Perry

Mr Lee Scratch Perry - the genius of Dub music - describes an average day in his mountainside retreat in central Switzerland.

Ich wache meist gegen 17 Uhr auf. Dann gehe ich in meinen Raum, und der Junge der uns im Haushalt hilft, bringt mir meine heisse Schokolade. In meinem Raum habe ich mir meinen Himmel gebaut. Das ist mein Dschungel und mein Löwe. Mein Büro. Hier arbeite ich und kriege die Luft von den Bergen. Und das Eis. Ich bin ein bisschen süchtig nach Eis und Schnee.

Ich habe nie Hunger und esse nur einmal am Tag. Gegen 22 Uhr komme ich hoch ins Esszimmer, habe das Gefühl, jetzt gibt es bald essen. Vegetarisch. Früher war ich süchtig nach Fleisch. Dann las ich Jesus Worte: „Man wird was man isst.“ Das gefiel mir. Sei achtsam, was Du isst und trinkst. Vor knapp zehn Jahren habe ich aufgehört Marijuana zu nehmen. Cannabis sollte nicht legalisiert werden, wegen der Kids. Alkohol ist noch schlimmer. Von Marijuana kann man was lernen, von Alkohol nichts. Es zerstört nur Gehirnzellen. Und Rauchen, das ist wie ein Monster, das deine Lungen benötigt. Ich tötete den Dämon als ich merkte, dass ich ihn nicht benötige. Ich sagte: Du wirst weder meine Lungen bekommen noch meinen Atem stehlen.



Ich schreibe den ganzen Tag. Zur Zeit an etwas, das ist zu gross für ein Song. Ich schreibe Texte, ich beschreibe die Zukunft. Es wird eine neue Bibel. Ich habe Millionen und Millionen und Billionen von Wörtern im Kopf. Wenn ich nicht aufschreibe, was ich empfange, wird das nie festgehalten für die nächste Generation. Früher hatte ich mal einen Myspace in Amerika, jetzt lade ich Wörter auf Facebook.



Meine Frau plant, ihre Lebensgeschichte zu schreiben. Ich mache keine Pläne. Ich sitze hier und empfange Worte. Von überall. Ich denke global. Alles ist eine spirituelle Schwingung. Das Meiste was ich empfange, kommt aus Äthiopien. Ich wurde gesandt, um Urteile zu fällen. Um Erleuchtung zu bringen. Wenn ich den Mund aufmache, höre ich viele Sachen, von denen ich vorher nicht wusste, dass sie existieren.



Das hier ist das Haus Gottes. Ich glaube an die Bibel, meine Unordnung, Kunst, Gott. Gott ist ein Baby. Ich bin das Herz Gottes. Jah Rastafarai. Wenn der Hahn kräht, dann klingt das Rastaaaafaaahrai. Ich bin ein Naturmensch. Mein Sternzeichen ist Fische. Ich brauche das Wasser.



Die Toilette ist mein Ort der Inspiration. Mein Kunstraum. Wenn ich pippi mache macht es Tssschh und dip dip dip, es fühlt sich an wie der Ozean und der Wind und der Regen. Tssschh dip dip dip, das ist ein Beat! Auch hier draussen, vor meinem Arbeitsraum, wenn es regnet, auf meine Schamanen, auf eine Pfanne tropft, das ist ein Rhythmus: dapf dapf. Ich habe mehr Regen hierhin gebracht. Und mehr Sonne.



Ich mag nicht gestört werden, daher bin ich gern in der Schweiz, hier am Land. Die Schweizer mag ich. Sie kümmern sich um ihr eigenes Geschäft, lassen dich in Frieden. Das ist wichtig um zu arbeiten. Jamaica vermisse ich nicht so. Alle kommen und bitten um Geld. Die Leute haben nichts als Leid und Sorgen, saugen deine Energie. Ich lebe von meiner Energie. In meinem Haus in Jamaica habe ich ein grosses Tor und hohe Zäune. Ich habe einen Schweizer Pass. Gott hat mich hierhin geschickt um Babylon umzukehren. Aber ich finde nicht, dass die Schweiz so babylonisch ist wie Amerika.



Wenn ich Schamanen baue oder male, höre ich Musik. Ich mag, was komisch ist. Besonders die Red Hot Chili Peppers. Wirklich nette Jungs. Bevor sie berühmt wurden, kamen sie mich immer besuchen. Sie mochten meine Musik. Ich mag The Clash und die Beastie Boys. Ich mag die komischen Leute. Und ich mag komische Sachen wie meine Stiefel und die Militärjacke hier. Auf denen befestige ich Souvenirs, schau hier Bern, New York City, Valais, Marcus Garvey.



Jede Woche trete ich auf, Donnerstag bis Sonntag, irgendwo. Diese Woche? Weiss ich nicht, da muss man meine Frau fragen, die ist seit 22 Jahren meine Managerin. Letzte Woche? Gute Frage, hm. Ich musste fliegen. Hm. Ich fliege die ganze Zeit. Ich glaube Portugal und Dublin. Wenn ich auftrete, mache ich funny Sachen. Man lacht oder tanzt. Was ich mache, muss man lieben. Die Art wie ich mich anziehe, wie ich singe - man geniesst das. Es ist wie im Comic. Wegen der kosmischen Energie, der Comic Energy, Sonnenschein Energie, Regenwasser Energie, Natur Energie, Sexy Energy.



Diese Tage denke ich viel über die Rolle der Kirche nach. Das meiste was hier passiert, hängt mit Jesus zusammen, mit seiner Kreuzigung. Die Kirche saugt unser Blut. Sie ist Schuld an der Finanzkrise. Nicht der Staat. Irgendwann werden die Leute sich dagegen erheben. Wir brauchen eine Revolution. Morgens um fünf ruft mich meine Frau ins Bett, sonst würde ich Nächte durcharbeiten.

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