David Wallace-Wells ist kein Öko. Der 37-Jährige ist stellvertretender Chefredaktor des US-Magazins «New York», wohnt in Manhattan, reist um die Welt, mag modische Kleidung und hat an einer Ivy-League-Universität studiert. Als die Geburt seines ersten Kindes bevorstand, begann er sich intensiver für die Zukunft zu interessieren. Was steckt hinter den Klimaprognosen? Wie ernst muss man sie nehmen? Er tauchte tiefer in die Thematik ein, las Studien, begann, führende Klimaforscher zu interviewen. Heraus kam das Buch: «Der unbewohnbare Planet». Es beginnt mit dem Satz: «Es ist schlimmer, viel schlimmer, als Sie denken.» Wallace-Wells zeigt auf, wie unser Leben sich in einer überhitzten Welt verändern wird.
Das Magazin: Herr Wallace-Wells, die erste Frage kommt von meiner fünf-jährigen Tochter: «Ich habe gehört, dass viele Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben werden. Müssen ich oder meine Eltern daran sterben?»
David Wallace-Wells: Das ist unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist, dass unsere Welt viel dunkler und viel hässlicher wird. Trotzdem werden wir einen Weg finden, in dieser Welt zu leben, die zwar mehr Leid, Schmerz und Tod sehen wird – aber auch viele glückliche Menschen.
Vier Grad globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 – ist es das, was Sie erwarten? Ihr Buch nennt verschiedene Werte, von 3.2 bis 4.5 Grad.
Unser aktueller Klimapfad führt uns auf 4.5 Grad Erwärmung zu. Ich denke aber, dass etwa 3.2 wahrscheinlicher ist, falls einige Klimaschutzmassnahmen greifen.
Wie gut vorbereitet sind Sie persönlich auf den Klimawandel?
Überhaupt nicht. Ich bin auf alle Annehmlichkeiten des modernen Lebens angewiesen. Und auf die Lieferketten, die sie zu mir bringen. Ich bin kein Outdoor-Typ und handwerklich nicht besonders begabt. Aber ich glaube auch nicht, dass der Zusammenbruch unserer Zivilisation bevorsteht. Also mache ich mir selbst keine Sorgen. Zumindest kurzfristig nicht.
Wenn ich Sie als Vater fragen darf: Was sind die entscheidenden Fähigkeiten, die Sie Ihren Kindern beibringen, für diese düstere Zukunft? Was müssen sie können – Landwirtschaft, Mandarin, Arabisch, Brot backen oder eher programmieren?
In der Klimakatastrophe ist die entscheidende Fähigkeit Mitgefühl. Wir müssen eine neue Art von Politik entwickeln, die auf das Leiden aller Menschen in der Welt reagiert. Egal, wie weit sie von uns entfernt leben, egal wie verschieden sie von uns sind.
Welche vier Folgen des Klimawandels fürchten Sie am meisten?
Das Ende des Wirtschaftswachstums .(denkt nach) Klimakriege. Todesfälle durch Luftverschmutzung. Den Zusammenbruch der Landwirtschaft.
Welche Folge ist die bedrohlichste?
Vermutlich das Ende des Wirtschaftswachstums, weil es alles andere beinhaltet. Ökonomen sagen, wenn wir nichts ändern und auf dem Vier-Grad-Klimapfad bleiben, verlieren wir 30 Prozent des Wachstums, das möglich wäre. Es wird doppelt so hart werden wie die Grosse Depression nach 1929.
Welche ist Ihre zweite grosse Sorge?
Klimakriege. Je heisser es ist, desto nervöser werden Menschen. Kriminalität und Gewalt steigen an. Die Forscher Solomon Hsiang, Marshall Burke und Edward Miguel schätzen, dass jedes halbe Grad weltweiter Erwärmung 10 bis 20 Prozent mehr Konflikte auslöst. Das heisst, eine um ein Grad wärmere Welt muss 20 bis 40 Prozent mehr kriegerische Konflikte ertragen; bei vier Grad Temperaturanstieg wären es 80 bis 160 Prozent mehr Konflikte.
Und was meinen Sie mit dem Zusammenbruch der Landwirtschaft?
Wenn wir am Ende des Jahrhunderts bei vier Grad Erwärmung landen, werden sich unsere Ernten halbieren.
Seit Jahren arbeiten Sie den letzten Stand der Klimaforschung auf. In welchem Punkt haben Sie Ihre Meinung fundamental geändert?
Meine grösste persönliche Erkenntnis ist: wie schnell es geschieht. In meinem Buch schreibe ich: «Die Hälfte aller Emissionen, die die Menschheit freigesetzt hat, entstand in den letzten drei Jahrzehnten.» Also seit der Rio-Konferenz 1992 zur Bekämpfung des Klimawandels. Seit Al Gore uns vor der globalen Erwärmung gewarnt hat. Knapp ein Viertel aller Kohlendioxidemissionen entstand seit 2007, der Markteinführung des ersten iPhones.
Was war die letzte wirklich positive Nachricht zum Klima?
Vor einigen Wochen wurde berichtet, Chinas Emissionen könnten angeblich 2021 ihren Höhepunkt erreichen. Ein ganzes Jahrzehnt früher als gedacht.
Sind Sie dem nachgegangen?
Wie bei allem in China gibt es Gründe, optimistisch zu sein, und es gibt Gründe, pessimistisch zu sein. Sie bauen ihre erneuerbaren Energien viel ehrgeiziger aus als alle anderen. Gleichzeitig eröffnen sie Kohlekraftwerke.
Gibt es in China überhaupt ein Umweltbewusstsein?
Das Land bewegt sich in beide Richtungen gleichzeitig. Xi Jinping hat sich viel offener über das Klima geäussert, seit Donald Trump ins Amt kam. Ich denke, er sieht eine Chance, weltweit die Führungsrolle im Klimaschutz zu übernehmen. Aber er ist immer noch am Wachstum interessiert. Das bedeutet, er ist noch nicht bereit, auf schmutzige Energie zu verzichten. Dafür ist China etwa massiv gegen die Luftverschmutzung vorgegangen. Über eine Million Menschen starben jährlich an der Verschmutzung. Das ist teuer.
Würde es reichen, wenn China allein radikal umschwenkt? Anders gefragt: Könnte Xi Jinping die Welt retten?
Leider nein. Wir brauchen eine globale Lösung. Aber China verantwortet 28 Prozent der CO2-Emissionen. Würde das Land klar gegen den Klimawandel mobilisieren, wären die Auswirkungen dramatisch. Aber nur, wenn andere mitziehen. Ich denke, China ist mächtig und gross genug, dass der Rest der Welt folgen würde, wenn das Land wirklich aggressiv handeln würde.
Wir brauchen extreme Schritte und sind langsam. Ist die Demokratie klimaschädlich?
Demokratische Länder haben sich nicht als besonders adaptiv erwiesen in dieser Frage. Aber alle bisherigen Regierungsformen waren für die Herausforderungen des Klimawandels unzureichend.
Wenige Silicon-Valley-Giganten kon-trollieren die grössten Geldberge der Geschichte, haben ungeheure technische Möglichkeiten. Könnten Mark Zuckerberg oder Amazon-Gründer Jeff Bezos die Welt retten?
Im Alleingang? Wahrscheinlich nicht.
Und wenn sie ihr Geld zusammenlegen?
Das Silicon Valley sollte seine riesigen Philanthropie-Projekte auf die Bekämpfung des Klimawandels konzentrieren. Das würde einen grossen Unterschied machen. Solange sich die Techmilliardäre derartige Eitelkeiten leisten, sollten wir hoffen, dass sie zumindest einen erheblichen Teil ihres Geldes in Innovationen stecken, die das Klima für zukünftige Generationen stabilisieren.
Wäre das vergleichbar mit Chinas Potenzial?
Nicht ganz. Aber zumindest Microsoft-Gründer Bill Gates ist schon dran, er hat eine Menge guter Dinge getan.
Wenn Trump wiedergewählt wird, wie wird sich das auf das Klima auswirken?
Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, dass er wiedergewählt wird. Aber es wäre ein grosser Rückschlag, wenn Sie ernst nehmen, was die UNO sagt: dass wir also unsere Kohlendioxidemissionen bald auf null senken müssen. Ein Präsident, der sich dem für weitere vier Jahre vehement verweigert, wird für das Ziel der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft verheerend sein.
Macht Ihnen das Angst?
Ja. Aber auch aus einer Reihe anderer Gründe. Geopolitisch und sozial.
Trump hat Klimawissenschaftler attackiert. Sind Sie auch unter Beschuss?
Nicht dass ich wüsste. Mein Buch wurde gut angenommen. Vielleicht lesen es einfach eher Leute, die auch an den Klimawandel glauben. Ich denke, wir übertreiben oft die Rolle und Bedeutung der Klimawandelleugner. Wir denken, sie seien einflussreich. Meine Erfahrung ist eher: Die meisten Politiker und Amerikaner glauben heute an den Klimawandel. Sie kümmern sich einfach nicht genug darum.
Letzte Frage: Warum leugnen eigentlich die Rechten so vehement den Klima-wandel? Ihnen könnte das Thema doch nützlich sein. Sie könnten sich für Mauern und Grenzen einsetzen und vor Migration warnen, indem sie die UNO- Berichte zitieren, die vor bis zu einer Milliarde Klimaflüchtlingen warnen.
Ich glaube, das tun die Rechten bereits, und das macht mir Angst. Die jüngsten Wahlen in Australien wurden mit einer Kampagne gegen den Klimawandel gewonnen. Der rechte Kandidat argumentierte: «Warum sollten wir unsere ganze Wirtschaft umgestalten, wenn wir nur zu einem kleinen Prozentsatz des Problems beitragen? Wir müssen uns um unser eigenes Wohl kümmern, nicht um das Wohl der Welt.» Und während der EU-Wahlen hielt einer der Berater von Marine Le Pen eine Rede darüber, dass Grenzen der beste Schutz vor dem Klimawandel seien.
David Wallace-Wells, Die unbewohnbare Erde. Ludwig Verlag, 2019